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Abschied

  • Autorenbild: Thea
    Thea
  • 17. Juli 2019
  • 5 Min. Lesezeit


Auf das ganze Glanz und Gloria vom Donnerstagabend folgte buchstäblich Platzregen am Freitagmorgen.

Nach all den schönen Momenten, dem vielen Lachen und Amüsieren auf der Abifeier, all den schönen Beiträgen und netten Menschen und den Beglückwünschungen von Familie und Freunden, standen wir nun da, völlig übernächtigt, überwältigt von Gefühlen, aber gleichzeitig auch irgendwie taub.

Ich glaube, so wirklich konnte das keiner realisieren. Das Ende der Schulzeit und noch schlimmer: das Ende der Semi-/Internatszeit war gekommen, es fehlten nur noch einige Worte und Umarmungen, bis jeder in ein anderes Auto steigen und sich auf seinen eigenen, individuellen Weg nach Hause, aber auch gleichzeitig in die große weite Welt begeben sollte.

Erst einmal stand noch die Verabschiedung bevor. Wie soll man sich denn bloß von Menschen verabschieden, mit denen man vier sehr intensive Jahre verbracht, die himmelhochjauchzenden Momente aber auch die kleinen und großen Katastrophen erlebt und durchlebt hat? Und die sowohl schöne Abiball Jumpsuits als auch modische Ausrutscher (ich erinnere mich noch an einen bauarbeiterblauen Sackpulli kombiniert mit einer Jogginghose derselben Farbe in der neunten, haha) an einem gesehen bzw. akzeptiert haben und die in der Zwischenzeit so viel mehr geworden sind, als gewöhnliche Freunde? Von den Leuten, mit denen man einfach so sein konnte, wie man ist und die einen mehr geprägt haben, als einem vielleicht in diesem Moment bewusst ist?

Während draußen Regentropfen auf die Scheiben der wartenden Autos prasselten, liefen drinnen viele heiße Tränen die Gesichter von Semis (und ich glaube auch von Lehrern) hinunter. Ein paar aufmunternde, ein paar dankende und ein paar hoffnungsvolle Worte wurden gewechselt und dann, irgendwann, stieg ich mit meinem Abizeugnis in der Hand ins Auto. Kurz zuvor hatte ich noch ein Foto von der Kirchturmspitze der Klosterkirche gemacht. Bis jetzt weiß ich nicht ganz genau warum. Es ist nicht besonders schön und ich bezweifle außerdem, dass ich so schnell vergessen werde, wie die Spitze des Kirchturms, die ich jeden Tag aus meinem Zimmer betrachten konnte, aussieht. Vielleicht wollte ich einfach den Moment festhalten. Das Ende einer für mich sehr bedeutungsvollen und ereignisreichen Ära.

Natürlich war es nicht immer schön und entspannt. An letzteres kann ich mich spontan gar nicht erinnern. Es war immer viel los, es war stressig und es wurde viel von mir und den anderen abverlangt. Manchmal so viel, dass ich am liebsten aufgegeben hätte. Trotzdem habe ich es nicht und bin froh, dass ich die Herausforderungen des Semi-Alltags gemeistert habe. Vielleicht ist der Abschied ja die letzte Herausforderung des Semis für uns. Nur, dass wir diese alleine meistern müssen. Aber wenn ich länger darüber nachdenke, sind wir nicht allein. Wir sind geographisch voneinander getrennt und können nicht eben ins nächste Zimmer poltern und fragen, ob es dort noch ein paar Süßigkeiten oder Motivation fürs Eisessengehen gibt. Aber nur, weil wir uns nicht regelmäßig beim Mittagessen sehen, heißt das nicht, dass wir unsere Freunde aufgegeben haben. Ich muss auf jeden Fall lernen, wie man besser mit Freunden in Kontakt bleibt. Was das Antworten auf WhatsApp (Sprach)Nachrichten angeht, habe ich auf jeden Fall noch ein bisschen Verbesserungsbedarf *husthust*.


 

Nachdem ich den Freitagnachmittag dann hauptsächlich damit verbracht hatte, meinen Schlafmangel zu reduzieren und am Samstag nur rumhing, ging ich am Sonntag mal wieder unter Menschen. Ein etwas schwieriges Unterfangen in dieser Zeit, weil alle (mit guter Absicht) nach dem Abi fragen. Dein Schnitt und ein Resumé der Abifeier wird erfragt und vor allem sind sie an der Zukunft interessiert. Weißt du schon was du jetzt machst? Ahh, du gehst nach England. Und danach?! Ich selbst bin aber mit den Gedanken noch in der Vergangenheit und versuche den Abschied zu verarbeiten. Ich bemühe mich ihnen zu erklären, dass die Leute im Internat zu einer zweiten Familie geworden sind und mir der Abschied daher schwerfällt. Alle nicken verständnisvoll, allerdings glaube ich nicht, dass sie wirklich verstehen, wie sich das anfühlt. Wie auch, sie haben es ja nicht erlebt. Unterwegs sehe ich in den vorbeilaufenden Menschen auch immer Leute aus dem Semi. So nach dem Motto: Oh ist das X? Der hat die gleiche Frisur und den gleichen Gang. Ach ne, doch nicht. Was sollte der auch hier?!


 

Am Montag habe ich angefangen die ganzen Taschen und Koffer auszupacken. Oh man, warum habe ich so viel Zeug… Mein Zimmer war im Prinzip noch so eingerichtet, wie ich es vor vier Jahren zurückgelassen habe. Zumindest meine Seite des Zimmers, die meiner Schwester war schon wesentlich altersgemäßer eingerichtet, schließlich ist sie erst vor einem Jahr ins Semi gewechselt. Ich beschloss also, die ganze bunte Zimmerdekoration aus den Regalen und von den Wänden zu nehmen und sie anschließend mit der neuen vom Semi zu ersetzen. Zuerst musste dafür erst einmal Staubgewischt werden. Dabei ist mir aufgefallen, wie sehr ich mich in den letzten Jahren verändert habe. Allein schon von der Größe her. Plötzlich konnte ich den Staub auf der Musikanlage sehen, der mich früher nie gestört hatte, weil er ja nicht in meinem Sichtfeld gelegen war. Ein eigenartiges Gefühl.

Beim Abstauben des Globusses musste ich daran denken, was so viele Menschen in den letzten Wochen zu mir gesagt hatten: „Liebe Thea, jetzt nach dem Abitur steht dir die Welt offen“. Alle sagen es sehr feierlich und ich reagiere dann vielleicht auch ein bisschen über. Denn dieser Satz zeigt tausend verschiedene Möglichkeiten auf, wie ich die nächsten paar Jahre verbringen könnte. Ich könnte jetzt rein theoretisch eine Weltreise machen oder Au pair in Amerika sein oder mit einer Hilfsorganisation Plastik aus den Weltmeeren fischen oder einen der gefühlt Trilliarden Studiengänge an einer Uni in Frankreich oder sonst wo beginnen oder oder oder … Ihr versteht das Prinzip. Diese ganzen Optionen können leicht verunsichern. Mache ich jetzt das richtige? Trotzdem kann man am Schluss erst einmal nur eine wählen. Die führt einen dann schon weiter und wenn es nicht klappt, dann geht die Welt auch nicht unter.

Sie meinen es eventuell auch so, dass ich mich jetzt, nach dem Ende der Schulzeit aus dem Schul-/Semikosmos hinausbewege und jetzt die Möglichkeit habe, mir mehr von der Welt anzuschauen und das Leben jenseits der Schulbücher kennenzulernen. Ich habe Zeit zu entdecken, was es noch so gibt und ganz viele neue Erfahrungen zu machen. Den Horizont erweitern, Abenteuer erleben und mal etwas machen, das man sonst nicht macht.

Während ich das hier schreibe, bin ich doch tatsächlich ein bisschen begeistert von dem Fakt, dass ich nächstes Jahr im Ausland verbringen kann und wirklich aus dieser kleinen Welt rauskomme :)


 

Trotzdem ist mir der Abschied vom Semi und der Schule ein bisschen unheimlich. Er ist so endgültig und unwiderruflich. Es gibt keinen ähnlichen Ersatz und man weiß auch nicht genau, wann man alle das nächste Mal zusammen auf einem Haufen hat. In den letzten Tagen saß ich also mit einer relativ neutralen Stimmung da. Abschiedstrauer und die Lust auf Neues sind wie zwei Pole, die sich gegenseitig ausgleichen. Nur wenn ich hin und wieder ein Lied höre, welches mich zum Beispiel an unsere fast schon legendäre Griechenlandfahrt erinnert, überwiegt der traurige Pol. Und ich habe gelernt, dass es ok ist, traurig zu sein, denn es hat genauso eine Berechtigung, wie das Glücklichsein. Auch wenn es sich vielleicht nicht so schön anfühlt. Wenn ich morgens für eine gefühlte Ewigkeit beim Frühstück sitzen und in der neuen Flow Zeitschrift blättern kann, freue ich mich dann doch ein bisschen über die freie Zeit, die ich derzeit genießen darf. In der Übergangszeit von Abschied und dem Neuen, also England, sozusagen.

Apropros Übergangszeit: Ich muss jetzt dringend das Chaos in meinem Zimmer beseitigen, damit ich hier in meinem neu und wunderbar dekorierten Zimmer ein paar schöne Wochen verbringen kann, bis es dann heißt: England ich komme! :)


Bis bald, Thea :)


 

PS. Übrigens ist mir aufgefallen, dass sich das Thema Trennung, was ja irgendwie eines der Hauptthemen im Pop ist, gut auf diese Situation hier übertragen lässt. Was ziemlich deprimierend ist, weil ich ja nicht immer, wenn ich Musik höre, an das Ende vom Semi erinnert werden will. Habe ernsthaft überlegt, ob ich mir Metal oder so was anhöre, hahaha.

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