top of page

Ein ganzes halbes Jahr in England.

  • Autorenbild: Thea
    Thea
  • 24. März 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Disclaimer: In der letzten Woche hat sich durch die aktuelle Situation mit dem Virus alles verändert. Mein Dienst wurde mittlerweile abgebrochen. Den Zwischenbericht wollte ich euch trotzdem nicht enthalten:)




Ich habe noch genau den Moment vor Augen, als ich hinter der Absperrung vom Security Check im Flughafen stand und meinen Eltern ein (vorerst) letztes Mal zum Abschied zu gewunken habe. Zum allerersten Mal habe ich mich alleine durch die Kontrollen durchgearbeitet und dabei mächtig geschwitzt. Das hatte allerdings mehr mit den vier oder fünf Schichten von Pullis, die ich anhatte, und den 30°C als mit den Sicherheitsbeamten zu tun. Für ein ganzes Jahr zu packen ist eben doch nicht ganz so einfach…

 

Dann saß ich auch schon im Flugzeug. Ein ganzes Jahr voller Abenteuer lag vor mir und ich konnte es nicht fassen, dass mein Traum für längere Zeit in England zu leben nun tatsächlich wahr wurde. Nach all dem Auf und Ab in der Schulzeit, dem Abitur und der Planung meines Freiwilligendienstes hatte ich es geschafft. Jetzt ging es los! Ich nahm mir vor, mir in diesem Jahr keine Sorgen zu machen. Einfach mal Dinge machen, anstatt zu fragen: Kann ich das überhaupt? Ich wollte mutig sein und einfach mal das tun, worauf ich Lust hatte, ohne auf die nächste Arbeit lernen oder von Termin zu Termin hetzen zu müssen.

Und ja, ein Abenteuer sollte es werden! Während ich auf die vergangenen Monate und die gemeisterten Herausforderungen zurückblicke, kann ich sagen, dass sowohl mein Selbst- als auch mein Gottvertrauen noch einmal deutlich gewachsen sind. Ich habe mich in einer fremden Stadt, in einem fremden Land eingelebt und Dinge einfach gemacht, anstatt mir auszumalen was alles schief gehen könnte oder die anderen Leute von mir denken könnten. Schwierige Zeiten habe ich durchgestanden ohne aufzugeben und meine Selbstständigkeit hat von den letzten Monaten auch profitiert: Alleine ins Kino gehen, Unterkünfte und Zugtickets buchen, das Fahrrad zur Reparatur bringen, fliegen, Leute kennen lernen, all das ist jetzt der Alltag.


Bild 1: Brexit Wahl in England!

 

Meine (anglikanische) Kirchgemeinde, in der ich jetzt mit Kindern und Jugendlichen arbeite, hat mich sehr herzlich aufgenommen. Weil ich in meiner ersten Woche hier Geburtstag hatte, überraschten sie mich mit einem Geburtstagskuchen samt Geburtstagsständchen auf der Orgel in meinem ersten Gottesdienst am Sonntag. Viele Familien luden mich in den kommenden Wochen zum Mittagessen zu sich nach Hause ein, was es mir erleichterte, die Gemeinde besser kennen zu lernen. Mir wurde alles sehr verständlich erklärt und Schritt für Schritt mein Aufgabenpensum erhöht. Nun arbeite ich in vielen unterschiedlichen Bereichen, was mir sehr viel Spaß macht. Am Montagmorgen gehe ich in eine Schule und helfe dort den Klassen 12 und 13 bei ihrer Vorbereitung auf die mündlichen Prüfungen in Deutsch. An drei Abenden helfe ich bei vier verschiedenen Pfadfindergruppen (Scouts) mit. Dienstags bin ich beim morning prayer (Morgengebet) in der Kirche dabei und arbeite wie am Donnerstag im Büro an der Organisation und Vorbereitung für den Kindergottesdienst und die Messy Church am Sonntag (Messy Church ist eine Veranstaltung am Sonntagnachmittag mit Aktivitäten, einer biblischen Geschichte und Bastelsachen für junge Familien, die sonst nicht in die Kirche kommen). Außerdem bin ich noch an der Krabbelgruppe beteiligt, auf die ich mich immer freue. Ich helfe auch bei dem Auftritt in den sozialen Netzwerken der Kirche und designe die Werbung für verschiedene Veranstaltungen. Ab und an sitze ich auch am Mischpult und kümmere mich um den Ton und die Powerpoints. Zusätzlich besuche ich einen Hauskreis, der außer mir, nur aus Senioren besteht, was eine interessante Erfahrung ist. Nachmittage, Freitage und Samstage habe ich frei, allerdings arbeite ich hin und wieder trotzdem am Wochenende, zum Beispiel, weil wir Spenden für Obdachlose gesammelt haben und dafür in der unbeheizten Kirche mit der Jugendgruppe übernachtet haben.

 

Für die Dauer meines Freiwilligendienstes lebe ich in einer Gastfamilie. Praktischerweise wohnt diese direkt gegenüber von der Kirche, sodass ich einen kurzen Arbeitsweg habe. Die Kinder meiner Gasteltern sind schon ausgezogen, weshalb ich die meiste Zeit alleine zu Hause bin. Die Gasteltern sind beide total nett und hilfsbereit, aber auch sehr berufstätig und kommen erst spät abends zurück. Demzufolge gibt es erst spät Abendessen und nun ja, an die Kombination von einem warmen Abendessen zwischen halb neun und (eher seltener) halb zehn und dem häufigen Verzehr von Reis vor dem Fernseher konnte ich mich bis jetzt noch nicht so ganz gewöhnen. Die soziale Situation ist neben der Kälte im schlecht isolierten Haus eine weitere Herausforderung. In meiner Kirchengemeinde gibt es keine Gleichaltrigen, weshalb es nicht besonders einfach ist, Leute in meinem Alter kennenzulernen. Mein Pfarrer hat mir aber eine andere eher freikirchliche Gemeinde in der Nähe empfohlen, die am Sonntagabend einen Gottesdienst für ein jüngeres Publikum veranstaltet. Außerdem habe ich mich für eine Theatergruppe angemeldet. Das Spielen macht mir viel Spaß und ich lerne die anderen Jugendlichen langsam kennen. Ein Gedanke, der mir hilft, wenn es mal wieder nicht so rund läuft, ist, dass es nirgends (auch nicht zu Hause) perfekt läuft und dass es überall herausfordernde Situationen gibt.


Bild 2: Der (sehr ... besondere) Weihnachtsbaum meiner Gastfamilie


 

Familien aus der Gemeinde laden mich hin und wieder ein. Ich habe mit ihnen zusammen Plätzchen in der Adventszeit gebacken, das Arche Noah Museum auf einem richtigen Schiff besucht und sogar Weihnachten gefeiert! Diese Menschen sind echte Vorbilder für mich geworden. Sie haben mir mit ihrem Engagement in der Gemeinde und ihrer Zeit für mich gezeigt, was christliche Nächstenliebe bedeutet und dass Zeit ein viel größeres Geschenk sein kann als materielle Güter.


Bild 3: Weihnachten am Strand!


 

Die Stadt, in der ich lebe, heißt Colchester und ist relativ klein. Es gibt nicht viel zu sehen, dafür ist London aber nur eine gute Stunde mit dem Zug entfernt. Diese Nähe nutze ich so oft ich kann. Sonst versuche ich mich in meiner Freizeit mit anderen Freiwilligen zu treffen. Außerdem habe ich viel Zeit zum Lesen und Fotografieren. Bis jetzt war ich auch schon zweimal auf einer Konferenz mit allen Time for God Freiwilligen (Time for God ist die englische Partnerorganisation), was jedes Mal eine sehr bereichernde und total schöne Zeit war. Dort hatte man die Möglichkeit, andere Freiwillige kennen zu lernen und so vielleicht auch Leute zu finden, mit denen man sich zusammen mehr vom Land anschauen kann.

Sowohl das DJiA als auch Time for God sind sehr zuverlässige Organisationen, die alles gut planen und organisieren. Bis jetzt hatte ich immer das Gefühl, mit Problemen zu meinem Field Officer (so heißt die Kontaktperson bei Time for God) oder auch zum DJiA kommen zu können, auch wenn das bisher zum Glück nicht nötig war. Auch in meiner Einsatzstelle habe ich Ansprechpersonen und am Dienstagmorgen immer eine sogenannte Supervision, in der wir darüber reden, wie es mir geht und was die Woche über so ansteht.

 

Ich bin immer noch sehr froh, dass ich in England leben und arbeiten darf und auch, wenn es nicht immer einfach ist, bin ich dankbar für die Möglichkeit, ein anderes Land mit seiner Kultur erleben zu dürfen. Denn so etwas, wie diesen Freiwilligendienst werde ich mit Sicherheit nicht noch einmal erleben und definitiv nie vergessen. Hier ein paar meiner Lieblingsmomente bis jetzt:

*Feuerwerk mit der Familie von meinem Pfarrer in der Bonfire Night

*Übernachtung mit der Jugendgruppe in der Kirche

*Die beiden Konferenzen mit all den coolen anderen Freiwilligen

*Die Pantomime Aufführungen! Einfach nur genial!

*Weihnachten mit einer Familie aus der Kirche, wir haben eine Pantomime angeschaut und waren sogar am Meer! An Weihnachten! Verrückt, ich weiß!

*Der 21. Geburtstag von einer Freundin, die ich hier kennengelernt habe

*Silvester mit Freiwilligen in London


Ich hoffe, ihr könnt euch jetzt vorstellen, wie ein Freiwilligendienst in England aussehen kann. Natürlich gibt es auch noch ganz viele andere Projekte und Lebensverhältnisse, in die man kommen kann. Vielleicht hast du ja jetzt auch Lust bekommen, so einen Dienst zu machen. Ich bin mit dem Diakonischen Jahr ins Ausland (DJiA) und Time for God (TfG) gegangen und kann die beiden Organisationen zu 100% empfehlen.

Bis bald,

Thea





Commentaires


Einfach abonnieren und nichts mehr verpassen

Danke :-)

Newsletter
bottom of page